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Deutschland: Immer diese Griechen!

Der Stammtisch im Kanzleramt

26. Mai 2011 | Die Südländer sollten endlich mal so hart arbeiten wie die Deutschen, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das ist blanker Unsinn.

Noch sind sie präsent auf Spaniens Strassen und Plätzen – die Indignados, die zumeist jugendlichen Empörten. Ihr Protest richtet sich nicht allein gegen die spanischen Grossparteien, die ihre Zukunft geschreddert haben. Die Bewegung «Wahre Demokratie jetzt!» will auch das Diktat der Finanzmärkte brechen und ähnelt so dem Widerstand der griechischen Lohnabhängigen, die sich seit Monaten wehren und den nächsten Generalstreik vorbereiten. In Spanien wie in Griechenland haben die Regierungen mit typisch sozialdemokratischem Eifer die strikten Vorgaben der Märkte, des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Europäischen Union (EU) eilfertig umgesetzt: Sie schlugen einen rigorosen und kontraproduktiven Sparkurs ein, erhöhten die Verbrauchssteuern, senkten die Löhne, setzten das Renten­alter hoch, privatisierten öffentliche Einrichtungen. Und doch türmen sich die Schulden weiter auf. Ein Bankrott Griechenlands scheint nicht mehr ausgeschlossen. Eine griechische Zahlungsunfähigkeit aber, so warnte am Dienstag die Ratingagentur Moody's, würde die Staatsanleihen von Irland und Portugal auf Ramschstatus fallen lassen und Staaten wie Spanien, Italien und Belgien unter erheblichen Marktdruck setzen.

Dennoch lehnen die grossen EU-Staaten eine Änderung ihrer gebieterischen Politik rundweg ab: kein Schuldenschnitt, höchstens eine Fristverlängerung – mit der Folge, dass grosse Teile der Bevölkerung in den angeschlagenen Staaten über die nächsten zwanzig, dreissig Jahre sozial verelenden. Und nicht nur das. Die Menschen dort sollten sich ruhig auch ein wenig anstrengen, sagte die deutsche Kanzlerin Merkel vergangene Woche: «Wir können nicht eine Währung haben, und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig.» Da hat sie recht. Nur ist es andersherum, als die Populistin mit ihren chauvinistischen Wahlkampfsprüchen glaubt. Die ach so faulen SüdeuropäerInnen arbeiten laut OECD-Angaben im Jahresdurchschnitt deutlich länger als die deutschen Beschäftigten (in Spanien 1654, in Portugal 1710, in Griechenland sogar 2119 Stunden, in Deutschland hingegen 1390), und sie haben weniger Ferien, nicht mehr. Kein Wunder: Sie müssen ja auch die horrend hohen Zinsen für die Bank- und die IWF-/EZB-Kredite bezahlen. Die Griechenlandkrise, so ergab eine Analyse in der «Financial Times Deutschland», hat Deutschland bisher «locker zehn Milliarden Euro» eingebracht.

Die Ursache des Ungleichgewichts in der Eurozone ist nicht der Unterschied zwischen den Arbeitsscheuen dort und den Fleissigen hier: Es ist der gigantische Exportüberschuss von Deutschland, wo in den letzten Jahren Lebensstandard und Löhne dramatisch gesunken sind und die Lohnstückkosten der Industrie nur moderat und weit unter dem europäischen Durchschnitt zugenommen haben. Je mehr die deutsche Wirtschaft aber exportiert, desto grösser werden die Bilanzdefizite der anderen Staaten. Allen das deutsche Exportmodell zu empfehlen, ist mithin grober Unfug. Zweckdienliche Lösungen gäbe es durchaus: Erhebliche Lohnsteigerungen in Deutschland zum Beispiel (wer überzeugt die standortorientierten deutschen Gewerkschaften?) oder eine Sonderbesteuerung der export­orientierten Industrie zugunsten der von ihr verheerten Regionen. Doch das verlangt ­einen Kraftakt, zu dem weder in Berlin noch in Brüssel jemand fähig oder willens ist: Aus der Währungsunion müsste eine Transferunion, vielleicht sogar eine politische Union werden – aber auf demokratischer Basis.

«Wenn das System zusammenbricht, und es wird zusammenbrechen, dann geben die Menschen nicht der zentralistischen und kapitalistischen Struktur der Gemeinschaft die Schuld», sagte der britische Labour-Linke Tony Benn. Sondern den Leuten in anderen Staaten. Der ehemalige Post-, Industrie- und Technologieminister prognostizierte das an einer WOZ-Veranstaltung vor knapp zwanzig Jahren. Er hat recht behalten; heute ist es so weit, wie der überall grassierende Rechtspopulismus zeigt. In Finnland schimpft man auf Portugal und in Deutschland auf die GriechInnen. Vielleicht können ja Basisbewegungen wie die der spanischen Indignados der Idee von einem demokratischen Miteinander in Europa wiederbeleben; immerhin fordern sie Gleichheit, Gerechtigkeit und mehr Solidarität. Das Europa von oben jedenfalls – das fährt gegen die Wand. (pw)